Der Weidenhof /

Zum Parlament

von Horst Osmann (c) 2018

Nach einer mehr als zwölf Jahren andauernden  — durch langen Leerstand forcierten — Phase des Niedergangs wurde am Wochenende 22./23. April 2017 die Erkrather Traditions-Gastwirtschaft „Zum Weidenhof“ abgerissen. Mancher  Erkrather hat den Abriss mit Wehmut verfolgt, denn viele verknüpften schöne Erinnerungen an gesellige Stunden mit der alten Gastwirtschaft. Häufig wurde auch die Frage nach Denkmalschutz aufgeworfen, doch entgegen einer verbreiteten Meinung war der Gebäudekomplex zu keiner Zeit in der amtlichen Denkmalliste erfasst. Das Gebäude Kreuzstraße 4, so wie es vor dem Abriss bekannt war, bestand aus zwei unterschiedlichen Bauteilen, der südliche (rechte) Teil war älter als der nördliche. Es ist nicht exakt feststellbar, wann der der jüngere Anbau errichtet wurde, wahrscheinlich erst nach 1900 unter Jakob Assenmacher. Ein Rückblick auf die Geschichte des Hauses und der Gastwirtschaft scheint aus vielerlei Gründen gerechtfertigt.

Haus Kreuzstraße 4 vor dem Abriss, Foto: Horst Osmann
Haus Kreuzstraße 4 vor dem Abriss, Foto: Horst Osmann

Die älteste Schankkonzession datiert vom 31.Mai 1879: „Erlaubniß-Schein Nr. 21 zum Betriebe einer Gastwirtschaft. Auf Ansuchen des Peter Assenmacher zu Erkrath, wird demselben hierdurch auf Grund des § 33 der Bundesgewerbeordnung vom 21.Juni 1869 die Erlaubniß ertheilt, in dem Hause No. 371 eine Gastwirstchaft zu betreiben unter der Bedingung jedoch, daß derselbe zu dem gedachten Gewerbebetrieb stets drei Logirzimmer bereit halten muß. Dieser Erlaubnißschein, welcher nur für den p. Assenmacher und  daß obengenannte Local Gültigkeit hat, ist aufzubewahren, und muß auf Erfordern des controllierenden Polizeibeamten vorgelegt werden. Düsseldorf, den 31. Mai 1879, Der Landrath“. (A E 445)


Peter Assenmacher, nach amtlichen Unterlagen 1832 in Erkrath geboren, also 47 Jahre alt, hat nach Erhalt der Konzession seine Gastwirtschaft im Haus Nr. 371 sicherlich unmittelbar darauf im Juni/Juli 1879 eröffnet. Zuvor war er kein Gastwirt, sein Beruf wird mal mit Tagelöhner, mal mit Hauderer (= Fuhrunternehmer) angegeben. Die Konzession zeigt, dass seinerzeit in Erkrath Straßennamen und Hausnummern noch nicht üblich waren. Die bestehenden Häuser waren fortlaufend durchnummeriert. Offizielle Straßennamen mit einer modernen Hausnummernsystematik wurden erst im Jahr 1900 durch den ersten Erkrather Bürgermeister Johann Kaiser eingeführt. Es ist nicht überliefert, ob die Gastwirtschaft Assenmacher anfangs einen Namen trug, unter seinem Sohn und Nachfolger Jakob Assenmacher hieß sie um 1900 nachweislich „Zum Parlament“.

Restauration Jakob Assenmacher, ältester Gebäudeteil mit großem Saalanbau, Ansichtskarte vor 1900,Slg. Ralf Jansen
Restauration Jakob Assenmacher, ältester Gebäudeteil mit großem Saalanbau, Ansichtskarte vor 1900,Slg. Ralf Jansen

Wirt Peter Assenmacher hatte mit seiner aus Benrath stammenden Frau Christine, geb. Müller, drei Söhne: Jakob, Josef und Carl, sowie Tochter Lina. Jakob erlernte den Beruf des Bäckers und wurde Nachfolger im Haus Kreuzstraße 4. Konditor Josef Assenmacher eröffnete mit seiner Frau Theresia, geb. Conen, im Haus Trills 17 — oberhalb der alten katholischen Schule — eine eigene Gastwirtschaft. 1931 feierte Josef seine 50jährige Mitgliedschaft im Trillser Männergesangverein. Der jüngste Sohn Carl wurde Lehrer in (Essen-)Steele.


Die Nachfolge seines Vaters Peter als Wirt in der dann „Zum Parlament“ genannten Gastwirtschaft trat Jakob Assenmacher nach seiner Heirat mit Ida Jungblut 1896/97 an. Kinder des  Ehepaars waren Sohn Paul, sowie die Töchter Paula und Louise Elisabeth. Die Überlieferung schweigt darüber, warum nicht Paul Assenmacher die Gastwirtschaft des Vaters und Großvaters  weiter führte.  Tochter Paula heiratete in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg Otto zur Linden. Dieser war 1887 in Erkrath als Sohn von Louis zur Linden, renommiertem Gastronom im Erkrather Kaiserhof, geboren. Er übernahm vom Schwiegervater die Gastwirtschaft und gab ihr den neuen Namen “Zum Weidenhof“.

Restauration Zum Parlament von Jakob Assenmacher, nach 1900, Repro aus  Slg. Lahnstein/Weber
Restauration Zum Parlament von Jakob Assenmacher, nach 1900, Repro aus Slg. Lahnstein/Weber

Paul zur Linden wiederum übernahm die Gastwirtschaft vom Vater Otto. Mit Eintritt in den Ruhestand verkaufte er an Marlies Herzog, einer erfahrenen Gastronomin aus Hilden. Mit der neuen Wirtin gab es noch einmal 10 gute Jahre für Erkrather Gäste. Als Marlies ihren eigenen Ruhestand vorbereitete, offerierte sie ab 2001 das Haus mit Gastwirtschaft zum Verkauf. Leider fand sich kein Käufer, die Gaststätte blieb geschlossen. Erst 2010 ging das Haus an einen erfahrenen Investor über, der 2011 umfangreiche Umbaupläne für ein Hotel mit Edelimbiss ankündigte. Geplante Investitionen von rund  1.000 000 Euro wurden in den Tageszeitungen verlautbart. Leider hatte man aber übersehen, dass bei einem Um- oder Neubau die Bestimmungen des Landesimmissionsgesetzes Ruhezeiten zwischen 22 und 6 Uhr vorsahen. Seitens der Stadtverwaltung wurde die Baugenehmigung versagt, der Umbau wurde gestoppt und das über 100 Jahre alte Haus verfiel in den kommenden Jahren zur Ruine. Der Abriss 2017 war unausweichlich.


Die Gastwirtschaft Kreuzstraße 4 war in ihren guten Jahren nicht nur Schankwirtschaft. Seit mindestens 1890 bis zum zweiten Weltkrieg gab es einen großen Saal, der vielfach und gerne von den Erkrather Vereinen genutzt wurde. Peter Assenmacher war seit 1865 Mitglied der Sankt-Sebastianus-Bruderschaft Erkrath, sein Sohn Jakob wurde 1882 aufgenommen. Von daher gab es eine enge Beziehung zwischen Bruderschaft und Gasthaus. Anlässlich einer Bruderschaftsversammlung im Mai 1880 erfolgte die Auslosung der Reihenfolge des Festlokals zum Schützen- und Titularfest unter den konkurierenden Wirten. In der Reihenfolge: Krautstein (Kirchstraße 6), Cürten (Ecke Kreuz-, Kirchstraße), Kirschbaum (Schöne Aussicht?) und Assenmacher  fanden fortan im jährlichen Wechsel die Bruderschaftsfeste in den jeweiligen Lokalen statt. Die Wirte hatten einen Zuschuss von 20 Mark zu zahlen.


Zwei Kegelbahnen im „Weidenhof“ wurden immer stark nachgefragt. Um 1900 kegelten hier die Mitglieder des Clubs „Haul Drop“, in dem prominente Erkrather Bürger vertreten waren. 1909 wurde im Hause Assenmacher der später älteste Erkrather Kegelclub „Semper Idem“ gegründet. Erst nach dem 100.jährigen Jubiläum stellten die letzten verbliebenen Kegelbrüder ihre gemeinsamen Freizeitaktivitäten ein.

Kegelclub "Haul Drop", vor 1900.

Erkrather Honoratioren-Kegelclub „Haul drop“ um 1900 im Gasthof „Zum Parlament“. Oben v.L.: Gebrüder Otto, Karl und Albert Bernsau, Gärtnereibesitzer Rottgießer,  Baumschulenbesitzer Richard Pritschau, Postmeister Joseph Hünermann, Jakob Assenmacher und Kaufmann Walter Wilms. Unten sitzend v.L.: Apotheker  Johann Köster, Lehrer David Hasenclever, Arzt Dr. Johann Strucksberg, Lehrer Peter Stolz und Fabrikdirektor Emil Zschocke.

Kegelclub "Semper Idem", 1969

Kegelclub „Semper Idem“, gegründet 1909. Oben v.L.: Bäckermeister Hermann-Josef „Pimpf“ Cüppers, Dr. Erich Klüsener, Polizeikommissar Heinz Vogel, Bäckermeister Luwig Fischer, KFZ-Händler Fritz Jüntgen, Frisör Heinrich (?) Polmanns, Bahnhofswirt Heinz Göke. Unten sitzend v.L.: Schornsteinfegermeister Günter Henning, Felix Neuheuser, Installateur Leonhard Krautstein, Paul Melles, Bauamtsleiter (?) Hennecke, Bäckermeister Georg Höhn.

Der 1882 gegründete Männergesangverein „Sängerbund“ probte ab 1898 dauerhaft und regelmäßig im Lokal  „Assenmacher“ und gab hier gut besuchte Konzerte. Kolportiert werden Berichte über Karnevalsfeiern und Theateraufführungen. Noch in der Zeit von Jakob Assenmacher wurden im großen Saal der Gastwirtschaft zwei Versammlungen von Bedeutung für Erkrath abgehalten. Am 8. Juli 1900 erfolgte hier auf Initiative des ersten Bürgermeisters Johann Kaiser die Gründung des Löschzuges Erkrath der Freiwilligen Feuerwehr. Wirt Jakob Assenmacher wurde neben Hauptmann Eduard Kleinillbeck zu dessen Stellvertreter gewählt. 1908 gründete man auf Betreiben des Erkrather Arztes Sanitätsrat Dr. Strucksberg die Erkrather Sanitätskolonne vom Roten Kreuz. In den letzten Wochen des zweiten Weltkrieges war im Frühjahr 1945 im damaligen großen Saal ein Lazarett untergerbacht. Der 1893 gegründete Erkrather Bürgerschützenverein, der sich 1937 unter dem Druck der NS-Gleichschaltung aufgelöst hatte, fand sich 1950 in seinem „alten Stammlokal Zum Weidenhof“ von Otto zur Linden am 30.September zur Wiedergründung zusammen. Noch bis 1956 hatte der Bürgerschützenverein hier seinen Schießstand, der dann aber wegen Sicherheitsmängeln stillgelegt wurde.


Ein altes Rechnungsbuch für die Jahre 1947bis 1949 ermöglicht noch einen interessanten Einblick: Paul zur Linden erhielt 1947 vor der Währungsreform 260 Mark monatliches Nettogehalt. Nach der Währungsreform ab Juli 1948 erhielt er 136,50 DM netto. 1949 verbuchte man 3247 DM für Biereinkauf, 1719 DM für Wein, 3474 DM für Tabakwaren, aber nur 8 DM (!) für alkoholfreie Getränke. Die Nachfrage nach Speisen scheint in den Nachkriegsjahren ebenfalls nur gering gewesen zu sein, für Kücheneinkauf erscheinen lediglich 225 DM.

Abriss des Weidenhofs. Foto: Horst Osmann
Abriss des Weidenhofs. Foto: Horst Osmann

In der Rückschau erscheint es noch interessant, zu erklären, warum die Gastwirtschaft „Zum Weidenhof“ als erstes Haus an der Ecke Beethoven und Kreuzstraße immer die Hausnummer 4 trug. Ein Haus mit der Nummer 2 gab es seit Jahrzehnten nicht. Das Grundstück im Geviert zwischen Beethoven, Kirch-, Schubert und Kreuzstraße gehörte einst dem bekannten Erkrather Arzt Dr. Johann Heinrich Bongard. Laut Urkataster standen darauf 1832 drei Häuser: eins an der Kirchstraße (heute etwa Haus-Nr. 36/40) und zwei an der Kreuzstraße. Hier wohnte Dr. Bongard, später wurde daraus die Gaststätte Bergischer Hof, Kreuzstraße 12. Das zweite Haus, Kreuzstraße 2, hatte der  jüdische Metzger Joel Jakobson gemietet. Nach Bongards Tod 1857 kaufte der Metzger Lefmann Meyer das Haus. 1919 wurde das alte Haus wegen Baufälligkeit abgerissen, die Gemeinde Erkrath erwarb 1927 das Grundstück zum Bau der Beethovenstraße. So verschwand die Hausnummer 2 aus dem Straßenverzeichnis.

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