Historisches Erkrather Königssilber – die Taubenkette von 1623
von Horst-Ulrich Osmann © 2016
Von der Datierung her das zweitälteste Königssilber, vom ideellen Wert aber die bedeutendste erhaltene Pretiose der Sebastianusbruderschaft 1484 Erkrath e.V. ist die sogenannte Taubenkette von
1623. Am 15. Juni des Jahres wurde Petrus von Gohr in Erkrath Schützenkönig der St. Sebastianusbruderschaft. Als Ehrengabe stiftete er, so wie es immer noch Brauch ist, anschließend der
Bruderschaft eine silberne Taube, die heute als Bestandteil einer neuzeitlichen Kette traditionell vom neuen König getragen wird.
Die Gravur auf diesem Kleinod besagt: „Petrus v. Ghoer, filius judicis, dono dedit. A. 1623, de 15. Junij“, in der Übersetzung: „Petrus von Gohr, Sohn des Richters, gab dieses Geschenk“. Die gewählte Selbsttitulatur „Sohn des Richters“ ist Hinweis auf seine Abstammung und ermöglicht seine genealogische Zuordnung. Seine Eltern waren mit hoher Wahrscheinlichkeit der vormalige Richter des Amtes Mettmann, Bernhard von Gohr und dessen Ehefrau Christina Cluten. Die Familie von Gohr führte ein Wappen, das eine rechtsgewandte Taube mit offenem Flug, in den Krallen ein (Signal-) Horn haltend, abbildet (1). Das Wappen ist ebenfalls als Gravur auf dem Rumpf der Taube abgebildet. Als gestalterisches Element für sein Königssilber hat Petrus von Gohr also sein Familienwappen gewählt (2)! Dieses prägnante Design bleibt in Erkrath über viele Jahrhunderte einzigartig. Alle seine Nachfolger im Amt des Schützenkönigs wählen einen traditionellen Wappenschild, geschmückt und verziert durch individuelle Ornamentik und Gravuren. Erst 1961 (!), nach mehr als 300 Jahren, weicht König Ludwig Weyer, der aus einer Hufschmiedefamilie stammte, von der überlieferten Schildform ab, indem er ein nach unten offenes Hufeisen mit einer gravierten Platte ergänzt. In späteren Jahren wählen Johannes Keens sen. (1976), Heinz Heuwind (1977), Johannes Keens jun. (1992) und Michael Wichard (2005) ebenfalls sehr individuell ausgeprägte Formen für ihr Königssilber.
Eine Taube bzw. ein Vogel, der auch als Papagei ausgestaltet wurde, als Symbol für das Königssilber scheint gerade im 17. und 18. Jahrhundert häufig verbreitet gewesen zu sein. Beispielsweise sind in Ratingen, (Grevenbroich-) Kapellen, (Mönchengladbach-) Odenkirchen, Kevelar und Straelen silberne Vögel als Königskleinod überliefert (3). Wilhelm Ewald hat 1933 in seiner umfangreichen Arbeit über das Rheinische Schützenwesen weitere zahlreiche Nachweise für solche „Königsvögel“ gebracht (4). Insofern besitzt die Erkrather Taubenkette kein Alleinstellungsmerkmal. Die Frage, ob Petrus von Gohr beim Design seiner „Königstaube“ einer Mode seiner Zeit folgte, möglicherweise Anregungen von Außerhalb aufgriff oder ob er 1623 mit seiner recht frühen, individuellen Ausprägung am Anfang einer Reihe von Nachfolgern stand, bleibt aber unbeantwortet.
Über den König des Jahres 1623, Petrus von Gohr, liegen nur wenige Erkenntnisse vor. Seine Familie besaß in Bruchhausen bei Trills den Hof Großbruchhaus, des Weiteren (mindestens) einen Hof Klutenscheuer (5) in Mettmann. Denkbar ist, das Petrus (zeitweise?) auf dem Hof Großbruchhaus aufgewachsen ist und auch 1623 dort gelebt hat. Allerdings wird sein Vater Bernhard, der Jurist und Richter war, den Hof an einen Pächter vergeben haben. Bernhard von Gohr war Amtsrichter von 1608 bis 1617. Vor ihm hatte sein Vater Anton von Gohr, Großvater des Petrus, dieses Amt von ca. 1590 bis 1608 inne. Damit wird deutlich, dass die Familie von Gohr eine gutsituierte Beamtenfamilie war, die zusätzlich über Haus- und Grundbesitz verfügte. Christina Cluten, Ehefrau des Bernhard von Gohr und Mutter des Petrus, stammte ebenfalls aus einer Juristenfamilie. Ihr zwischen 1581 und 1616 auftretender Vater Christian Clout, verheiratet mit Mechtild vom Velderhoff, war Richter des Amtes Angermund, gleichzeitig auch Richter der Hofgerichte Dern in Gerresheim, Hösel, Hubbelrath, Zur Nieden, Rheinheim, Zum Haus bei Ratingen und am Haupthofgericht Rath (6). Eine solche Ämterhäufung ist erstaunlich und ein exponierter Einzelfall. Möglich wurde sie überhaupt nur deswegen, weil der Richter in jener Epoche eine andere Aufgabe hatte als heute und die Hofgerichte jeweils nur an einzelnen festgelegten Tagen im Jahr zusammenkamen.
Im Heiligenhäuschen auf dem Korresberg hängt heute ein altes, dem Peter Cluten gewidmetes Epitaph, das ursprünglich auf dem Kirchenvorplatz an der Rückseite des ehemaligen katholischen Vereinshauses hing. Die lateinische Inschrift bezeichnet ihn als Jüngling aus Mickeln, Student der Rechtswissenschaften.
In Mickeln – im Düsseldorfer Süden bei Himmelgeist - war also die Familie Clout/Cluten zu Hause. Der Student Peter verstarb wahrscheinlich am 9.September 1641 und fand in Erkrath seine letzte Ruhestätte. Die biographischen Andeutungen machen enge familiäre Verbindungen zu Christina Cluten, Ehefrau des Bernhard von Gohr, wahrscheinlich. Von Bedeutung ist dabei, dass alle genannten Personen eines Standes waren. Sie hatten eine vergleichbare Ausbildung als Juristen und waren mit dem Richteramt betraut. Diese Verbindungen begründen einen, in jener Epoche besonders wichtigen, sogenannten geschlossenen Heiratskreis.
Am Heiligenhäuschen schließt sich auch die Verbindung zur Familie von Gohr. Das Relief über dem Türsturz der Kapelle enthält folgende Inschrift: „Ad honorem Dei sacellium hoc renovatum sumptibus Bernardi a Gohr judicis Madmannii et Christinae Cluten conjugum. A. 1617“. In der Übersetzung: "Zur Ehre Gottes wurde diese Kapelle renoviert auf Kosten des Bernhard von Gohr, Richter (des Amtes) Mettmann und der Christina Cluten, Eheleute. Anno 1617“ (Übersetzung durch Verfasser). 1617 also hat die kleine Gebetskapelle schon bestanden, ob nur einige Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte, bleibt ungewiss. Der schlechte bauliche Zustand erforderte damals eine Renovierung. Ob hier Zeit, Wind und Wetter als natürliche Einflussfaktoren oder eventuell kriegerische Zerstörung ursächlich waren - der Truchseßsche Krieg in den Jahren 1585/86 sei hier genannt - bleibt vollkommen unklar. Persönliche Beweggründe des Amtsrichters von Gohr, die Reparaturen an der Kapelle aus eigenen Mitteln zu finanzieren, auf Basis fehlender Hintergrundinformationen zu interpretieren, ist fast unmöglich. So bleibt die Vermutung, dass er im Zeitalter der Reformation und im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges sein Festhalten am katholischen Glauben dokumentieren und dies mit den Arbeiten an der Gebetskapelle öffentlich darstellen wollte.
(1) Johannes Holtmann, Bergisches Wappenbuch bürgerlicher Familien
(2) Dass es sich um das Königssilber des Petrus v.G. handelt, leitet Verf. aus der Datierung ab: 15.Juni 1623 war Fronleichnamstag (Ostersonntag: 16.April1623; 50
Tage später Pfingstsonntag: 5.Juni, 10 Tage später Fronleichnam: 15.Juni 16243)
(3) 500 Jahre Rheinisches Schützenwesen, Ausstellungkatalog 1974, Kreisverwaltung Grevenbroich (Hrsg.)
(4) Wilhelm Ewald, Die Rheinischen Schützengesellschaften, 1933, in: Zeitschrift d. Rhein. Vereins f. Denkmalpflege u. Heimatschutz
(5) H.G.Hütten, Hof Klutenscheuer, in: Medamana 2/Juli 1992
(6) Hartmut Heikaus, Hofgerichte und Hofrecht i.d. ehemals bergischen Ämtern Angermund, Mettmann u. Solingen, 1970
von Peter Adelskamp
Seit Jahrhunderten ist es in der Sankt Sebastianus Bruderschaft Erkrath Tradition, dass der König eine silberne Plakette als Erinnerung an sein Königsjahr stiftet. In den Wirren der Jahrhunderte sind schon viele Plaketten verloren gegangen oder wurden zugunsten von kirchlichen Gegenständen eingetauscht oder eingeschmolzen. Aber bis zurück zum Jahr 1617 sind die meisten Plaketten erhalten und werden von der Bruderschaft bewahrt. Sie werden durch die Pagen mit ihren Schildern und durch den König mit der großen Königskette regelmäßig bei dem Schützenfest in dem großen Festzug getragen.
Das im ideellen Sinne wertvollste Stück ist die Taubenkette aus dem Jahr 1623. Über ihre Entstehung und Geschichte schreibt Horst Osmann in seinem obigen Artikel. Leider hat dieses besondere Stück der Silberschmiedekunst in den letzten knapp 400 Jahren durch den ständigen Tragegebrauch deutlich gelitten. Aufgrund der großen Bedeutung der Taube für die Bruderschaft, entschied sie sich ein Replikat in Auftrag zu geben. Dieses soll künftig bei Ausmärschen genutzt werden, wodurch das Original der Bruderschaft auch für die nächsten Generationen erhalten bleibt.
Mit dieser wichtigen Aufgabe wurde der Juwelier Kortenhaus aus Mettmann betraut, der selbst auf eine über 200-jährige Tradition als Familienunternehmen zurückblicken kann. In sechster Generation sind dort Uhrmacher, Juweliere und Goldschmiede tätig und überzeugen ihre Kundinnen und Kunden mit Qualität und Kompetenz. Für die Bruderschaft sind sie der richtige Partner, um diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen und zu helfen, dieses historische Erbe zu bewahren.